Vom Rezept ins Regal?

Warum viele Orthopädie- und Reha-Hilfsmittel ungenutzt bleiben

„Seit der Knie-OP steht der Gehstock im Flur. Aber benutzt habe ich ihn noch nie.“

Das ist ein Satz, den man im Sanitätshaus leider häufig hört. Hilfsmittel werden nicht zum Spaß verordnet. Sie sollen Schmerzen lindern, Heilungsprozesse unterstützen, Mobilität sichern und Selbstständigkeit erhalten. Und doch werden viele dieser Helfer schnell vergessen und verstauben unter dem Bett oder im Keller.

Dabei sind die Möglichkeiten groß: Orthesen nach Verletzungen, Rollatoren für mehr Sicherheit, individuell angepasste Einlagen zur Gelenkentlastung, Badezimmerhilfen oder spezielle Lagerungskissen zur Entlastung. Sie alle können den Alltag deutlich erleichtern – vorausgesetzt, sie werden auch genutzt.

Warum bleiben so viele Hilfsmittel ungenutzt? Die Gründe sind vielfältig: Psychologische Barrieren sind einer der größten Faktoren. Hilfsmittel werden oft mit Krankheit, Alter oder Schwäche assoziiert. Manche Betroffene empfinden Scham, sie in der Öffentlichkeit zu nutzen, andere wollen sich selbst nicht eingestehen, dass sie Unterstützung brauchen. Ebenso relevant sind praktische Hürden: Wenn ein Hilfsmittel zu schwer, zu sperrig oder unhandlich ist, wird es schnell zur Belastung statt zur Hilfe. Ein Rollator, der nicht ins Auto passt, oder eine Orthese, die nur mit Hilfe angelegt werden kann, bleibt häufig ungenutzt. Hinzu kommt die schlechte Passform oder Einstellung: Drückende Orthesen, rutschende Einlagen oder instabile Gehstützen sind nicht nur unbequem, sondern können sogar Schaden anrichten. Auch eine fehlende Einweisung ist ein Problem. „Hier ist Ihr Hilfsmittel. Viel Erfolg damit.“ reicht nicht aus, um einen sicheren und effektiven Gebrauch zu gewährleisten. Gerade bei komplexeren Hilfsmitteln ist eine praktische Anleitung entscheidend. Schließlich gibt es noch den Faktor Unbequemlichkeit oder Schmerzen: Viele Hilfsmittel erfordern eine Eingewöhnungsphase, die von Fachpersonal begleitet werden sollte. Bleiben möglicherweise notwendige Anpassungen aus, wird das Hilfsmittel oft nicht mehr genutzt.

Damit aus einem Hilfsmittel ein täglicher Begleiter wird, braucht es mehr als die reine Abgabe. Eine individuelle Beratung, regelmäßige Nachkontrollen und gezielte Anpassungen machen den entscheidenden Unterschied. Auch Motivationsarbeit spielt eine Rolle: Wenn Betroffene erleben, wie andere mit einem ähnlichen Hilfsmittel mehr Freiheit gewinnen, sinkt die Hemmschwelle. Moderne Materialien, leichtere Bauweisen und optisch ansprechende Designs sorgen zusätzlich für Akzeptanz.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, wie sehr die richtige Betreuung die Nutzung beeinflusst. Eine Kundin lehnte ihren Rollator zunächst strikt ab, da er sie „zu alt“ mache. Erst als wir gemeinsam ein leichtes, sportliches Modell auswählten, das zu ihrem aktiven Lebensstil passte, nutzte sie ihn regelmäßig. Ein anderer Patient trug seine Knieorthese kaum, weil sie drückte. Nach einer kleinen Anpassung konnte er wieder schmerzfrei Treppen steigen und die Orthese wurde vom unbequemen Muss zum täglichen Begleiter.

Hilfsmittel sind keine Zeichen von Schwäche, sondern Werkzeuge für Lebensqualität. Der beste Gehstock ist der, der benutzt wird und nicht der, der im Flur verstaubt. Wer sein Hilfsmittel konsequent einsetzt, gewinnt Mobilität, Sicherheit und Selbstständigkeit zurück und damit ein großes Stück Lebensfreude.

 

Über den Autor

Caroline Nitscke
Caroline Nitscke
Personalleitung Sanitätshaus Frohn

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