Medizinische Verfahren anschaulich erklärt: Folge 8

Gefahr durch Gluten?
Wie funktioniert der Nachweis oder Ausschluss einer Glutenunverträglichkeit

Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind populär

Nahrungsmittelskandale und negative Medienberichte bewirken eine zunehmend kritische Haltung vieler Menschen gegenüber unserer Nahrung. Die Informationsflut über Gifte, Schadstoffe und Allergene verändert die Wahrnehmung, mitunter auch die Selbstwahrnehmung. Parallel dazu glauben immer mehr Menschen eine Nahrungsmittelunverträglichkeit zu haben. Aber stimmt das auch?

In einer großen Studie der Charite wurden in Berlin über 6000 Eltern angeschrieben und zu Allergien ihrer Kinder befragt. Ein Viertel aller antwortenden Eltern waren davon überzeugt, dass ihr Kind eine Nahrungsmittelallergie hat. Den Eltern, die von einer Nahrungsmittelallergie ihres Kindes überzeugt waren, wurde angeboten, dies durch eine klinische Untersuchung zu überprüfen. Nur bei jedem 10. Kind bestätigte sich die Überzeugung der Eltern.

"Glutenfrei" ist in Mode

Der Fachwelt sind viele Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten bekannt und Gluten spielt dabei nur eine Nebenrolle. Dennoch glauben immer mehr Menschen an eine eigene Glutenunverträglichkeit. Glutenfreie Ernährung ist in scheinbar "modern" und die Nachfrage nach glutenfreien Produkten steigt, so als wären diese besonders bio oder gesund. Aber entspricht das der Wirklichkeit?

Glutenunverträglichkeit nimmt nicht zu

Die Glutenunverträglichkeit ist genetisch bedingt, kommt in Deutschland mit einer Häufigkeit von ca. 0,3 % vor und führt zu einer Erkrankung, die Zoeliakie genannt wird. An der Häufigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert. Die Zoeliakie ist eine ernste Erkrankung des Immunsystems die unbehandelt lebensbedrohlich ist und leider auch mit Risiken für weitere Immunerkrankungen und Krebserkrankungen einhergeht.

Wie wird die Glutenunverträglichkeit nachgewiesen?

Bei den Betroffenen bindet sich das Gluten an verstärkt gebildete Antigene (HLA-DQ2 Antigene) der Darmschleimhaut und löst damit eine Immunreaktion mit Bildung spezifischer Antikörper und einer Entzündung des Darmes aus. Die für die Erkrankung spezifischsten Antikörper heißen Gewebstransglutaminase-Antikörper (tTG-AK).

Zum Beweis der Erkrankung gehört beim Erwachsenen folgendes:

1. Nachweis der spezifischen Antikörper

2. Nachweis der spezifischen Dünndarmentzündung durch Biopsie (mit Magenspiegelung)

3. Besserung der Beschwerden durch konsequente Diät

Was wenn keine Antikörper gefunden werden?

Eine aktive Zoeliakie ohne Antikörper gibt es in aller Regel nicht. Es gibt aber andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die mit einer Glutenunverträglichkeit verwechselt werden können, obgleich sie nichts damit zu tun haben.

Die Weizenallergie

Eine Weizenallergie ist eine echte Allergie, die nichts mit Gluten gemein hat. Sie kann in der Regel durch eine Hauttestung (sog. Prick-Test) nachgewiesen werden. Betroffen sind oft Menschen, die auch andere Allergien (z.B. Heuschnupfen) haben. Gluten kommt nicht nur in Weizen, sondern in vielen Getreidearten, u.a. Dinkel, Hafer, Roggen und Gerste vor. Die Weizenallergie bezieht sich allein auf den Weizen. Von einer Weizenallergie sind ca. 1-4% aller Erwachsenen betroffen.

Die sogenannte "ATI-Sensivität"

Bei dieser früher fälschlich auch "Glutensensivität" genannten Erkrankung handelt es sich um eine Immunreaktion auf " Weizen-Amylase-Trypsin-Inhibitoren", sogenannten ATIs. Es handelt sich dabei um Proteine, die in modere Weizensorten hineingezüchtet wurden um das Getreide resistenter gegen Schädlinge zu machen. Folglich sind nicht alle Weizensorten gleichermaßen betroffen. Mit Gluten hat diese Unverträglichkeit ebenfalls nicht gemein.

(1) Bildquelle: Wikipedia, Von User: andreas06 - translation of Image: Coeliac Disease.png, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2151673

Über den Autor

Dr. med. Roger Agne
Dr. med. Roger Agne
Chefarzt Innere Medizin
Dill-Kliniken

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