Das Kunstgelenk schmerzt –
eine Allergie als mögliche Ursache?

Ein 73-jähriger Patient berichtet über Schmerzen und eine unverändert bestehende Schwellung des Kniegelenkes, nach dem er vor 3 Jahren mit einem Kunstgelenk versorgt worden war. Regelmäßige Untersuchungen durch den behandelnden Arzt erbrachten keine eindeutige Ursache der Beschwerden. Eine Lockerung oder Fehlpositionierung des Kunstgelenkes sowie eine chronische Infektion konnten durch zahlreiche Untersuchungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als mögliche Ursache der schmerzhaften Schwellneigung ausgeschlossen werden. Eis und Salbenverbände gegen die Schwellung, Schmerzmittel und die krankengymnastische Behandlung führten zu keiner dauerhaften Besserung der Symptome. Ist der Grund für das Leiden des Patienten möglicherweise in einer Allergie gegen das verwendete Kunstgelenk zu sehen?

Implantatunverträglichkeit: Metall, Knochenzement oder Antibiotikum?

Betrachtet man die Häufigkeit von Allergien in Deutschland, so fällt auf, dass die Zahl derer, die allergisch bedingte Symptome entwickeln, steigt. Frauen und jüngere Patienten scheinen häufiger davon betroffen zu sein. Allergische Reaktionen werden auch nach dem Einsetzen eines Kunstgelenkes beobachtet, wobei Polyethylen und Keramik, unter den häufig verwendeten Werkstoffen, als Allergieauslöser keine Rolle zu spielen scheinen. Allergien nach Versorgung mit einem Kunstgelenk können durch Metalle, Knochenzement oder das darin zur Infektionsprophylaxe eventuell enthaltene Antibiotikum, hervorgerufen werden.

Metallallergie – ein Grund für die steigende Häufigkeit von Metallallergien gerade jüngerer Patienten liegt in der zunehmenden Verbreitung nickelhaltigen Modeschmucks, was auch erklärt, dass Frauen etwa fünfmal häufiger betroffen sind als Männer. Die Sensibilisierung gegen das Metall kann bereits während des Erstkontaktes, zum Beispiel beim Tragen eines nickelhaltigen Ohrringes oder durch Kontakt mit einem Reißverschluss oder Metallknöpfen, entstehen (Kontaktallergie).

Zahlreiche Metalllegierungen werden bei der Herstellung der verschiedenen Kunstgelenke verwendet. Künstliche Kniegelenke bestehen im Normalfall aus einer stabilen Edelstahllegierung. Die verwendeten Legierungen enthalten meist etwa 64 % Kobalt, 28 % Chrom, 6 % Molybdän und etwa 1 % Nickel. Die weniger stabilen Titanlegierungen bestehen größtenteils aus Titan und können zusätzlich Vanadium, Aluminium, Niob, Molybdän, Zirkonium und Eisen enthalten. Sie werden vor allem beim künstlichen Hüftgelenksersatz verwendet, da in diesem Fall keine negativen Folgen auf das Einwachsen und die langfristige Verankerung zu erwarten sind. Seltener eingesetzte Materialien sind Vitallium, Tantal, Vanadium und Zirkonium. Aktuelle Untersuchungen konnten nachweisen, dass rund 12% der Bevölkerung eine Nickelallergie zeigen. Seltener sind allergische Reaktionen gegen Kobalt (2%) und Chrom (1%). Die Allergiehäufigkeit scheint bei Patienten mit einem höheren Lebensalter abzunehmen.

Knochenzement-/Antibiotikaallergie – Knochenzement zur Verankerung des Kunstgelenkes wird abhängig von Operateur und Befund häufig bei mäßiger Knochenqualität, Wechseloperationen oder künstlichem Kniegelenksersatz eingesetzt. Knochenzemente enthalten Substanzen die ebenfalls eine Allergie auslösen können – man spricht dann von einer Knochenzementallergie. Der häufige Antibiotikumzusatz von Knochenzement dient der Vorbeugung einer Infektion beim Einsetzen des Kunstgelenkes, kann aber auch eine allergische Reaktion auslösen, so zum Beispiel Gentamycin.

Welche Symptome weisen möglicherweise auf eine Implantatallergie hin?

Beschwerden und allergische Reaktionen können unmittelbar nach der Operation oder nach Jahren auftreten. Ist eine bakterielle Infektion ausgeschlossen können eine gestörte Wundheilung oder juckende und/oder nässende Hautausschläge (Ekzeme) im Bereich des operierten Gelenkes Hinweise auf eine allergische Reaktion sein. Insbesondere im Bereich des Kniegelenkes können Gelenkschwellungen und eine Bewegungseinschränkung auffallen. Dauerhaft bestehende Restbeschwerden, sofern eine chronische Infektion (low-grade), mechanische Ursachen oder eine Lockerung des Kunstgelenkes ausgeschlossen wurden, können ebenfalls ein allergiebedingtes Symptom sein. Der Zusammenhang zwischen einer Implantatallergie und einer vorzeitigen Lockerung von Kunstgelenken wurde bislang wissenschaftlich nicht eindeutig nachgewiesen, konnte aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Weiterhin ist aus mehreren Untersuchungen bekannt, dass trotz eines positiven Allergietests, mit Nachweis einer Metallkontaktallergie, bereits eingesetzte künstliche Gelenke reaktionslos vertragen wurden!

Wie kann eine Implantatallergie festgestellt werden?

Zahlreiche Untersuchungsmethoden ermöglichen eine Implantatallergie festzustellen. Am Anfang sollte eine ausführliche Patientenbefragung (Anamnese) stehen. Auffällige Hautreaktionen im Kontaktbereich mit Metallen wie Modeschmuck, Reisverschlüsse, Uhren oder Hosenknöpfen sind u. a. zu erfragen. Wichtig sind Besonderheiten im Rahmen der Wundheilung und andauernde Beschwerden, wenn bereits ein anderes Gelenk ersetzt oder eine operative Knochenbruchversorgung mit einem Metallimplantat durchgeführt wurde. Der Hautarzt (Dermatologe) kann die Allergieneigung mit einem Allergietest untersuchen. Kleinste Proben von Metallen und, sofern notwendig, Knochenzement und eine geringe Menge des dem Knochenzement häufig zur Infektionsprophylaxe beigemengten Antibiotikums werden üblicherweise auf die Haut aufgebracht (Epikutantest). Alternativ können die Substanzen auch in die oberste Hautschicht eingebracht werden – man spricht dann von einem Intrakutantest. Wichtig ist, dass die eingesetzten Proben ausreichend Zeit haben eine allergische Reaktion auszulösen, weshalb die Hautreaktion mehrfach, zuletzt meist nach 3 bis 4 Tagen, untersucht wird. Zusätzlich können im Blut Eiweiße (Antikörper) nachgewiesen werden, die der Körper als allergische Reaktion auf bestimmte Substanzen vermehrt bildet (IgE-Test). Mit dem Lymphozytentransformationstest kann die Reaktion der Blutzellen auf die möglichen Allergielöser (LTT) untersucht werden. Erhärtet sich der Verdacht, dass die von dem Patienten beklagten Beschwerden allergiebedingt sind und andere Ursachen der Schmerzen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wurden, so besteht die Möglichkeit im Rahmen einer kleineren Operation Gewebeproben aus dem Bereich des betroffenen Gelenkes zu entnehmen, die dann durch den Pathologen hinsichtlich einer allergischen Gewebereaktion untersucht werden.

Wann sollte die Durchführung eines Allergietests erfolgen?

Unterschieden werden drei Situationen in denen sich die Frage nach einem Allergietest durch den Hautarzt (Epi- oder Intrakutantest) stellen sollte. Ist eine Operation geplant und besteht kein Hinweis auf eine Implantatallergie, so ist von einer routinemäßigen Allergietestung abzusehen, zumal die Gefahr besteht, schon durch den Hauttest eine Sensibilisierung auszulösen.

Sinnvoll ist die Durchführung eines Allergietests bei Patienten, die vor einer anstehenden Gelenkoperation bereits über eine allergische Reaktion gegen die einzusetzenden Materialien berichten – so zum Beispiel über eine Rötung nach dem Tragen einer „unechten“ Halskette. Die Konsequenz eines positiven Allergietests wäre dann das Einsetzen einer Allergieprothese oder das Vermeiden von Knochenzement oder die Verwendung eines Knochenzementes ohne Antibiotikumzusatz – je nach nachgewiesener Allergie.

Ist das Kunstgelenk bereits eingesetzt und klagt der Patient über andauernde Schmerzen, Schwellungen und Hautreaktionen (Ekzem) oder ist auf dem Röntgenbild eine frühzeitige Lockerung des Kunstgelenkes sichtbar, sollte ebenfalls ein Allergietest durchgeführt werden. Voraussetzung ist, dass eine Infektionen oder mechanische Ursachen im Vorfeld bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wurden. Ein positiver Hauttest sollte weitere der genannten Allergie-Untersuchungen zur Folge haben, denn die Konsequenz wäre bei gesicherter Implantatallergie und entsprechenden Beschwerden unter Umständen die Wechseloperation des Kunstgelenkes unter Vermeidung der allergieauslösenden Materialien. Der Austausch eines Kunstgelenkes stellt einen großen Eingriff mit nachhaltigen Folgen dar, weshalb Nutzen und Risiko sorgfältig abgewogen werden müssen!

Es wurde eine Allergie festgestellt – was nun?

Allergie-Patienten, die mit einem Kunstgelenk versorgt werden sollen, werden im Falle einer Metallallergie mit einem sog. Allergieimplantat versorgt, auch wenn der Zusammenhang zwischen Hautreaktion und Gewebereaktion nach dem Einsetzen des Kunstgelenkes nicht sicher vorhergesagt werden kann. Im Falle einer Kontaktallergie gegen Nickel, Kobalt oder Chrom können diese Patienten mit einer Titanprothese, einem keramik- oder titanbeschichtetem/oberflächengehärtetem Kunstgelenk oder einer Keramikprothese (sog. Allergieimplantate) versorgt werden – abhängig von dem zu ersetzenden Gelenk. Der Standard in der Hüftendoprothetik stellt dabei die zementfrei eingesetzte Titanprothese dar, während beschichtete Stahllegierung beim künstlichen Kniegelenksersatz bevorzugt werden. Ist die Verankerung des Kunstgelenkes mit Knochenzement aufgrund einer Allergie nicht möglich, fällt die Wahl auf ein zementfreies Implantat, das in den Knochen einwächst. Patienten deren Allergietest eine Antibiotikumallergie erbrachte, können sofern der Operateur nicht aufgrund der mäßigen Knochenqualität auf eine Zementverankerung verzichten möchte, mit einem Knochenzement ohne Antibiotikumzusatz versorgt werden.

Grundsätzlich gelten bei Patienten die bereits mit einem Kunstgelenk versorgt wurden und einer Wechseloperation aufgrund allergiebedingter Problem unterzogen werden sollen, die gleichen Prinzipien wie bei der Erstversorgung. Im Vorfeld müssen diese Patienten genauestens über die Vor- und Nachteile eines solchen Eingriffs in einem ausführlichen Gespräch informiert werden, denn eine Wechseloperation ist mit einem höheren Operationsrisiko, Knochenverlust und einer vermehrten Narbenbildung und den sich daraus ergebenden Nachteilen, verbunden.

Warum werden die sog. Allergieimplantate nicht immer verwendet?

Zahlreiche verschiedene Allergieimplantate stehen dem Operateur im Allergiefall zu Verfügung. Da für einen Teil dieser Implantate bisher noch keine langfristigen Beobachtungszeiträume, zum Beispiel hinsichtlich der Haltbarkeit, zur Verfügung stehen, sollte der Einsatz nicht unkritisch erfolgen – auch wenn bisher keine negativen Erfahrungen gemacht werden mussten. Patient und Arzt gehen demnach ein etwas höheres Risiko als bei der Verwendung einer Standardprothese ein, weshalb Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen werden müssen, zumal das Risiko einer Implantatallergie verglichen mit der Häufigkeit mechanischer Komplikationen oder Infektionen gegenwärtig als sehr gering eingestuft wird.

Fazit

Implantatallergien sind ein seltenes Problem deren Auswirkung noch nicht eindeutig geklärt sind. Der Zusammenhang zwischen einer Implantatallergie und einer vorzeitigen Lockerung von Kunstgelenken wurde bislang wissenschaftlich nicht eindeutig nachgewiesen, konnte aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Weiterhin ist aus mehreren Untersuchungen bekannt, dass trotz eines positiven Allergietests mit Nachweis einer Metallkontaktallergie bereits eingesetzte künstliche Gelenke reaktionslos vertragen wurden! Untersuchungen, die die langfristige Sicherheit beschichteter Implantate (sog. Allergieprothesen) bestätigen, fehlen bisher. Der Patient sollte über eine mögliche Überbewertung von Allergietests informiert werden. Im Zweifelsfall sollten Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Behandlung ausführlich mit den Betroffenen besprochen werden.

 

Über den Autor

Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen
Aktuelle Ausgabe1/2024