Hilfe für von Gewalt betroffene Menschen –
das „Forensische Konsil Gießen (FoKoGi)“

Untersuchung und Dokumentation von Verletzungen bei Kindesmisshandlung und häuslicher Gewalt

Körperliche Verletzungen nach Schlägen, Tritten etc. können je nach Schwere unterschiedlich schnell verheilen. Nur wenn die blauen Flecken, die Striemen, die Platzwunden und andere Verletzungen möglichst rasch nach der Tat sorgfältig dokumentiert werden, ist später eine sichere Beweisführung möglich. Das Forensische Konsil Gießen steht für eine solche Dokumentation zur Verfügung – vertraulich und ohne, dass die Polizei zuvor eingeschaltet wurde.

Seit dem Jahre 2014 fördert das Hessische Ministerium für Soziales und Integration das „Forensische Konsil Gießen (FoKoGi)“ als niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen, die körperliche Gewalt erfahren haben. In der Ambulanz des Institutes für Rechtsmedizin in der Frankfurter Str. 58 in Gießen können sich die Betroffenen zur Dokumentation der Verletzungen vorstellen. Bei seither steigenden Untersuchungszahlen beträgt der Anteil Minderjähriger ca. 60%.

Gewaltformen können unterschieden werden:

Die Rechtsmedizin klassifiziert traditionell unterschiedliche Arten von Gewalt, zum Beispiel:

  • Scharfe Gewalt

  • Stumpfe Gewalt

  • Halbscharfe Gewalt

  • Sexualisierte Gewalt

  • Thermische Gewalt

Die am häufigsten dokumentierten Verletzungen sind blaue Flecken, also solche Verletzungen, die durch stumpfe Gewalt entstanden sind. Darunter fallen z.B. Verletzungen durch Schläge und Tritte. Doch nicht jeder blaue Fleck ist misshandlungsverdächtig. Einen Hinweis auf den Verletzungsmechanismus kann die Lokalisation der Verletzungen geben. So gilt es zu unterscheiden, ob Verletzungen in sog. sturz- und anstoßtypischen Regionen liegen oder ob sie an Stellen lokalisiert sind, an denen man sich bei einem einfachen Sturz nicht verletzen würde wie z.B. die Innenseiten der Oberschenkel oder die Genitalregion. Darüber hinaus bestehen sog. abwehrtypische Regionen, z.B. an den Kleinfingerseiten der Unterarme. Doch nicht nur die Lokalisation der Befunde, sondern auch die Form der Hämatome kann Rückschlüsse auf den Entstehungsmechanismus oder ein mögliches Tatwerkzeug erlauben. Gerade bei geschlagenen Kindern ist auf sog. „Doppelstriemen“ zu achten, die nahezu immer den Verdacht auf eine Kindesmisshandlung begründen, da sie typischerweise als Folge von Schlägen mit einem stockartigen Gegenstand entstehen.

Im Säuglings- und Kleinkindalter kommen spezielle Verletzungsmechanismen hinzu, so etwa das Schütteltrauma mit schwerwiegenden dauerhaften oder gar tödlichen Verletzungen oder eine Sonderform der stumpfen Gewalt die sog. Fütterungsverletzungen bei Säuglingen.

Als halbscharfe Gewalt wären Bissverletzungen der Haut zu bezeichnen. Hier kann bei zeitnaher Untersuchung der sog. Bissspuren noch festgestellt werden, ob diese durch ein anderes Kind oder eine erwachsene Person zugefügt wurden.

Behauptete Unfallhergänge können überprüft und Verletzungen interpretiert werden

Nicht selten werden Geschehens- oder Unfallabläufe angegeben, die die Entstehung von Verletzungen, gerade bei verletzten Kindern, erklären sollen: der Säugling sei vom Wickeltisch gefallen, das Kind sei die Treppe hinabgestürzt oder die Verletzungen seien bei einem Fahrradunfall entstanden. Mit rechtsmedizinischer Erfahrung kann in vielen Fällen geprüft werden, ob solche Angaben zutreffen oder ob es sich um „Ausreden“ handelt. Nicht selten gibt es aber auch widersprüchliche oder fehlende Angaben zu den Ursachen von Verletzungen. Dann ist es ebenfalls Aufgabe der Rechtsmedizin, vorhandene Verletzungen zu dokumentieren und schließlich auch zu interpretieren: Wie kann es zu dem blauen Auge gekommen sein? Können die „Doppelstriemen“ in der Rückenhaut des Kindes beim Sturz aus der Schaukel entstanden sein? Welche Erklärung gibt es für Schürfwunden an Knien und Ellenbogen? Wie entstehen blaue Flecken gleichzeitig an beiden Oberarmen des Kindes in gleicher Höhe? Sind Aussagen zum Alter von Verletzungen möglich und gibt es eine Übereinstimmung mit einem behaupteten Tatzeitpunkt? War das Würgen mit beiden Händen lebensbedrohlich?

Diese und viele andere Fragen sind gutachterlich zu klären, häufig erfordert dies weitere Informationen zu den Gesamtumständen.

Das „Forensische Konsil Gießen“ steht allen Interessierten bzw. betroffenen Menschen zur Verfügung, auch für eine persönliche Beratung. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter wird die Möglichkeit geboten, verdächtige Verletzungen bei Kindern dokumentieren und begutachten zu lassen, um ihnen bei der Einschätzung der Kindeswohlgefährdung (gem. § 8a SGV VIII) zu helfen. Aber auch Kinderkliniken und niedergelassene Ärzte können sich an die Rechtsmedizin wenden, sei es mit der Bitte um Beratung, sei es zur Mit-Beurteilung fotodokumentierter Verletzungen. Den Ärztinnen und Ärzten kann so Hilfestellung gegeben werden bei der Frage, ob im Einzelfall das Jugendamt oder gar die Polizei informiert werden sollte.

Rechtsmedizinische Begutachtung vor Gericht

Sollte dies erforderlich sein, so stehen Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner für die Begutachtung vor Gericht zur Verfügung, insbesondere auch, wie im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung formuliert, für die Begutachtung vor Familiengerichten. Sollte es jedoch zu einer Strafanzeige bei der Polizei gekommen sein, so kann die rechtsmedizinische Dokumentation vorhandener Verletzungen, die zwischenzeitlich in der Regel verheilt sind, auch für ein Strafverfahren zur Verfügung gestellt werden.

Spurensicherung bei Sexualstraftaten

Minderjährige wie Erwachsene können Opfer einer Sexualstraftat geworden sein. Dann ist die Einschaltung der Ermittlungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) dringend zu fordern. Für den Nachweis biologischer Spuren, v.a. Zellen von Täterinnen/Tätern am Gewaltopfer, muss eine rasche Spurensicherung erfolgen. Einerseits müssen Abstriche zum Nachweis von Fremd-DNA entnommen werden, andererseits gibt es weitere Spuren und mögliche Spurenträger, wie z.B. Bekleidung oder Gegenstände die unmittelbar mit dem Tatgeschehen in Zusammenhang stehen, die aufbewahrt werden müssen um später als Beweismittel zur Verfügung zu stehen. Es können z.B. Beschädigungen und Verschmutzungen der Bekleidung ebenfalls von Interesse sein. Soll, aus welchen Gründen auch immer, (vorerst) die Polizei nicht informiert werden, so können Abstriche und gesicherte Gegenstände im Rahmen des „Forensischen Konsils Gießen“ vertraulich im Institut für Rechtsmedizin aufbewahrt werden. Nicht selten entscheiden sich gerade Personen, die Opfer einer Sexualstraftat wurden, erst später zu einer Strafanzeige. In solch einem Fall können die zuvor erfolgte schriftliche Dokumentation und Fotografien von Verletzungen sowie angefertigte Abstriche und sonstige aufbewahrte Spuren, mit dem Einverständnis der betroffenen Person, der Polizei zur Verfügung gestellt werden.

Fallbeispiel:

In der Schule fielen einer Lehrkraft flächige, blaue Flecken im Gesicht einer Erstklässlerin auf. Die Lehrkraft suchte zunächst das Gespräch mit den Eltern, um dem aufkommenden Verdacht einer Kindesmisshandlung nachzugehen. Es konnte jedoch nur der neue Lebensgefährte der Mutter erreicht werden, da sich die Kindesmutter auf einer Geschäftsreise im Ausland befand. Einen Kontakt zwischen Mutter und Schule wollte der Lebensgefährte nicht herstellen und auch zu den Verletzungen äußerte er sich nicht, so dass durch die Schule eine Meldung an das zuständige Jugendamt erging. Durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jungendamts wurde das Mädchen in unserer Instituts-Ambulanz vorgestellt. Im Rahmen der Untersuchung zeigten sich am Körper des Mädchens unterschiedlich alte Hämatome an beiden Gesäßhälften, übergehend auf die Außenseiten beider Oberschenkel, deren Form an Konturen einer Hand und an Fingerkuppen erinnerten sowie Hämatome an beiden Wangen. Gegenüber dem Jungendamt gab der Lebensgefährte an, dass das Mädchen während eines Spielplatzbesuches von einer Schaukel gefallen sei und sich so die Verletzungen zugezogen habe. Auch wenn diese Aussage zunächst von dem Mädchen bestätigt wurde, zeigte die klinisch-rechtsmedizinische Untersuchung deutlich, dass sich die Verletzungen nicht durch einen einzigen Sturz erklären ließen. Die dokumentierten Verletzungen sprachen für eine mehrfache und mehrzeitige Kindesmisshandlung, sodass der anfängliche Verdacht der Kindesmisshandlung aus rechtsmedizinischer Sicht begründet war.

 

Die Ärztinnen und Ärzte des „Forensischen Konsils Gießen (FoKoGi)“ sind erreichbar unter:

Tel.: 0641 99 41410

Fax: 0641 99 41419

E-Mail: FoKoGi@forens.med.uni-giessen.de

Website: www.fokogi.de

 

Über den Autor

Theresa Ohlwärther
Theresa Ohlwärther
Ärztin am Institut für Rechtsmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen

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