Organspende in Deutschland 2
Dieser Artikel knüpft an den ersten zu diesem Thema in der Juliausgabe des Gesundheitskompasses an, in dem Hintergründe und Regelungen zur Organspende in Deutschland beschrieben sind (online einzusehen).
Es gibt verschiedene Aspekte und aktuelle Entwicklungen, deren nähere Betrachtung in einem zweiten Artikel sinnvoll sind, da das Thema weiterhin weit oben auf der politischen Agenda steht.
Deutschland weit hinten.
Dass Deutschland im internationalen Vergleich, was die Zahl der Organspender und transplantierten Organe angeht, sehr weit hinten rangiert, macht es weiterhin zum Top-Thema für 2019.
Üblicherweise wird die Zahl der Organspender in Spender pro eine Million Einwohner angegeben (p.m.). In Deutschland sind dies trotz eines leichten Aufwärtstrends immer noch knapp 10 p.m. Der europäische Durchschnitt liegt bei knapp 20 Spendern p.m. und der Spitzenreiter Spanien schafft es mittlerweile auf 50 Spender p.m. Die Zahlen beziehen sich auf die postmortale Organspende, also nach Eintritt des Todes. Die Grundvoraussetzung für eine Organspende ist wie in der Juli Ausgabe beschrieben der eingetretene Hirntod.
Die Diskrepanz zwischen gespendeten Organen und den ca. 10.000 potentiellen Organempfängern auf der deutschen Warteliste ist so groß, dass die Bundesregierung bis Mitte 2019 neue Weichen stellen will, um die Wende einzuleiten.
Zu wenige Spender werden gemeldet.
Dabei wurde schon versucht, dem Abwärtstrend der letzten sieben Jahre entgegenzuwirken. Der Staat brachte in diesem Zeitraum etwa 500 Millionen Euro hierfür auf. Das Geld erhielten die 1300 Entnahmekrankenhäuser, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), die deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und die Krankenkassen. Die Bilanz fiel leider mager aus: 80% der Entnahmekrankenhäuser meldeten keinen Spender im Jahr. Die Aufklärung der BzgA ist sehr umfassend, ebenso der Internetauftritt mit Informationen zur Organspende. Nach einer Umfrage ist die Zustimmung in der Bevölkerung auch sehr groß (ca. 80%). Die Krankenkassen wurden seit der Einführung der Entscheidungslösung 2012 beauftragt, alle zwei Jahre ihre Mitglieder mit einem Informationsschreiben über die Möglichkeiten der Organspende zu informieren und zu einer Entscheidung dafür oder dagegen zu motivieren.
Entscheidungslösung heißt, dass nur bei dokumentierter Zustimmung oder dem klaren mutmaßlichen Willen (bei fehlender schriftlicher Äußerung) eine Person als Organspender in Betracht kommt. Sicherlich ist regelmäßige Aufklärung sinnvoll; ob die 30 Millionen, die die Krankenkassen hierfür benötigen, sinnvoll angelegt sind, erscheint angesichts der Entwicklung aber fraglich.
Trotz dieser Maßnahmen haben nur ungefähr 20% der Bevölkerung den Willen zur Organspende auch schriftlich bekundet, z.B. im Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung. Auch die Zahl der Spender sank weiter. Dieser Zustand wird als nicht weiter verantwortbar angesehen.
Lösungen in Sicht?
In Deutschland sind für die Organspende verschiedene Institutionen und Gremien verantwortlich: die DSO als Koordinierungsorgan, die Bundesärztekammer mit der Ständigen Kommission Organspende, verschiedene Fachbeiräte und das Bundesgesundheitsministerium, das die Rahmenbedingungen bestimmt. Des Weiteren sind auch Verbände wie der Bundesverband der Organtransplantierten beteiligt. In diesem Zirkel wurde auch in den letzten Monaten nach Gründen für die schlechten Zahlen sowie nach Lösungen gesucht.
Woran liegt es nun? Umfragen zeigen, dass es nicht mehr an einem Vertrauensverlust wie nach dem Organspendeskandal 2012 liegen kann. Der damals versuchten Wartelistenmanipulation ist auch mit entsprechenden Kontrollkommissionen und Gesetzesänderungen entgegengetreten worden.
Krankenhäuser müssen in Bezug auf Organspende gestärkt werden.
Die Hauptursache wird in der mangelnden Fähigkeit gesehen, im System mögliche Spender zu identifizieren. Um das zu verbessern, sollen Strukturen geschaffen oder verbessert werden, innerhalb derer es besser möglich ist, in den Kliniken mögliche Spender auch als solche erkennen. Hierzu gehören auch Einzelfallanalysen, die darauf schauen, warum nicht die Möglichkeit der Organspende in Betracht gezogen wurde oder keine Hirntoddiagnostik eingeleitet wurde. Allerdings fehlt es den Kliniken hierzu schlichtweg an Ressourcen.
Um hier anzusetzen, sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden. Hierzu wird der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen der Organspende (GZSO) derzeit im Kabinett beraten und soll im Laufe des Jahres 2019 verabschiedet werden. Die Kernaspekte sehen eine Stärkung der Rolle der Transplantationsbeauftragten der Kliniken sowie eine bessere Vergütung der Krankenhäuser in Bezug auf ihre Leistungen, die sie im Rahmen des Organspendeprozesses erbringen. Auch sollen kleinere Krankenhäuser Unterstützungsangebote von außen erhalten. z.B. durch qualifizierte Ärzte bei der Feststellung des Hirntodes. Potenzielle Organspender sollen so besser erkannt werden. Nicht zuletzt soll die Betreuung der Angehörigen im Organspendeprozess verbessert werden.
Neben diesen strukturellen Möglichkeiten gibt es noch weitere Gründe für den Mangel an Spenderorganen, die zum Teil für deutlichen Diskussionsbedarf sorgen werden. Zum einen ist relevant, wie die Zustimmung zur oder Ablehnung gegen eine Organspende gesetzlich geregelt ist, zum anderen verhindert die Therapielimitierung am Lebensende oft die Möglichkeit zur Spende.
Prinzipiell hängt die tatsächliche Realisierung eine Organspende von der Zustimmung oder Ablehnung eines jeden einzelnen ab. Hierfür gibt es gesetzliche Regelungen, die entweder als Entscheidungslösung, Widerspruchslösung oder Zustimmungslösung formuliert sind.
Widerspruchslösung in Deutschland?
In Deutschland gilt die Entscheidungslösung, die 2012 die erweiterte Zustimmungslösung abgelöst hatte. Jede(r) soll sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden, ob er Organspender sein möchte oder nicht. Festlegen, das sei noch einmal betont, muss man sich aber bisher nicht. Bestandteil der Regelung ist, dass alle Bundesbürger regelmäßig informiert werden und auch alle zwei Jahre von ihrer Krankenkasse angeschrieben werden mit der Aufforderung, für sich eine Entscheidung zu treffen. Wer sich weder dafür noch dagegen entscheidet, kommt als Spender auch nicht in Frage.
In den meisten europäischen Ländern gilt hingegen die Widerspruchslösung. Diese besagt, dass jede(r), der einer Organspende nicht aktiv widerspricht, automatisch als Spender in Frage kommt, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Gesundheitsminister Spahn hat sich schon für eine entsprechende Änderung ausgesprochen. Auch der Deutsche Ärztetag hat sich 2018 dafür ausgesprochen. Im statistischen Vergleich können Länder mit dieser Regelung mehr Organspender vorweisen. Ob aber eine Änderung der gesetzlichen Grundlage in dieser Weise zu einer Zunahme der Zahlen in Deutschland führt ist unklar. In jedem Fall müsste jeder, der Organspende ablehnt, dieses dann klar dokumentieren, z.B. durch dokumentierte Ablehnung im Organspendeausweis oder durch Eintrag in ein sogenanntes Widerspruchsregister.
In jedem Fall ist vorher ist eine breitangelegte, gesellschaftliche Diskussion angezeigt und es müssen Institutionen eingebunden werden, die für solche grundlegenden, alle betreffenden Fragen eingerichtet wurden wie der Nationale Ethikrat.
Es muss ausdrücklich betont werden, dass unter allen Umständen der Patientenwille an vorderster Stelle steht. Daran wird sich nichts ändern.
Therapielimitierung kann Organspende verhindern.
Die Therapielimitierung am Lebensende ist eine Möglichkeit, unnötiges Leiden nicht weiter zu verlängern. Menschen, die unheilbar krank sind, können oft nur durch spezielle medizinische Maßnahmen am Leben erhalten werden, z.B. durch Intensivmedizin. Die meisten Menschen möchten das zurecht nicht. In einer Patientenverfügung kann jeder schriftlich bekunden, was er noch an Therapie möchte und was nicht. Oft wird in einer solchen Verfügung festgelegt, dass keine Therapien oder lebenserhaltenden Maßnahmen fortgeführt werden sollen, wenn bestimmte Ereignisse im Zusammenhang mit einer Erkrankung eintreten, z.B. Koma ohne Aussicht auf Wiedererwachen oder Wiederbelebungsmaßnahmen (Reanimation). Der Sinn ist, Leiden nicht unnötig zu verlängern und ein humanes Sterben zu erleichtern. Die Inhalte einer Patientenverfügung sind für Ärztinnen und Ärzte bindend.
Leider verbaut eine so verfügte Therapielimitierung häufig den Weg zur Organspende. Damit Organe gespendet werden können, müssen diese ihre Funktion erhalten, bis sie entnommen werden. Gerade zu diesem Zweck sind aber häufig sogenannte organerhaltende Maßnahmen erforderlich, die in einer Patientenverfügung als lebenserhaltende Maßnahmen ausgeschlossen werden. Wer also eine Patientenverfügung verfasst oder schon hat, sollte überprüfen, ob diese einen Absatz zu Organspende enthält und einen entsprechenden Passus einfügen, der bestimmt wie in Situationen, die eine Organspende möglich machen, verfahren werden soll.
Denn um die medizinischen Voraussetzungen für eine Organspende zu klären und eine Organentnahme vorzunehmen, müssen solche Maßnahmen zeitweise fortgeführt werden.
Patientenverfügungen mit Organspendepassus.
Patientenverfügungen sind durchaus im Internet erhältlich. Diese sind in Deutschland aber nicht standardisiert. Die Bundesärztekammer verweist auf die Version des Bundesministeriums für Justiz. Unter 2.9 ist in dieser der Zusammenhang von Therapielimitierung und Organspende widerspruchsfrei formuliert:
´Ich stimme einer Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantationszwecken zu (ggf.: Ich habe einen Organspendeausweis ausgefüllt). Komme ich nach ärztlicher Beurteilung bei einem sich abzeichnenden Hirntod als Organspender in Betracht und müssen dafür ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden, die ich in meiner Patientenverfügung ausgeschlossen habe, dann (Alternativen)
- geht die von mir erklärte Bereitschaft zur Organspende vor.
- gehen die Bestimmungen in meiner Patientenverfügung vor.
oder
Ich lehne eine Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu Transplantationszwecken ab. ´
Die BzgA gibt auf ihrer Internetseite ebenfalls Formulierungsvorschläge, die unter https://www.organspende-info.de/organspendeausweis/patientenverfuegung eingesehen werden können.
Beispiel Spanien
Wie eingangs erwähnt ist Spanien Spitzenreiter in Sachen Organspende. Warum steht Spanien nun so gut da?
Das Land hat sich in den 90er Jahren in Bezug auf die Organspende reformiert. Davor belief sich die Zahl der Organspender nur auf 14 p.m. Eine neugegründete Institution (ONT) übernahm die organisatorischen und technischen Fragen der Organspende vollumfänglich. Die strukturellen Gegebenheiten wurden auf allen Ebenen (national, föderal, Kliniken) verändert: Insbesondere wurden spezielle Teams gegründet, die mit der Spenderidentifikation betraut sind und direkt der ONT unterstellt sind. Die Mediziner, die als ´Koordinatoren´ in den Krankenhäusern fungieren, sind für ihre Tätigkeit im Rahmen der Organspende freigestellt und intensivmedizinisch ausgebildet. Eine aufwandsgerechte finanzielle Vergütung ist etabliert. Das System sieht auch eine kontinuierliche Weiterbildung und Evaluation der Prozessschritte vor. Zentral ist aber auch, dass nach einer schwierigen Debatte der Prozess letztendlich gesellschaftlich getragen wird und - von Tabus bereinigt - auch nach außen hin offen kommuniziert wird, z.B. in den Kliniken.
Ist das spanische System übertragbar?
Die derzeitigen Bemühungen in Deutschland zeigen, dass sie vom spanischen System beeinflusst sind. Auf ihrer Internetseite nimmt die ONT selber Stellung zur Übertragbarkeit auf andere Systeme. Ausdrücklich verweist die Institution darauf, dass vor dem Versuch einer Adaption eine genaue Analyse der Gegebenheiten des jeweiligen Landes unerlässlich ist. Für die Beurteilung der Übertragbarkeit von Gesundheitsinterventionen ist entspricht das auch internationaler Meinung. Die Analyse hilft insbesondere die für den jeweiligen Landeskontext notwendigen Anpassungen vorzunehmen. So hatte auch Spanien eine schwierige gesellschaftliche Debatte im Rahmen des Reformprozessen zu durchlaufen.
Auf europäischer Ebene hat das Modell bisher vielfältig Einfluss genommen, u.a. im Strategiepapier des EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines & Health Care) zur Verbesserung der Organspende.
In Deutschland beginnt diese Debatte erst. In Bezug auf zentrale Fragen wie die Widerspruchslösung ist zu hoffen, dass sie sachlich, partizipativ und informierend geführt wird.
Die geschenkten Lebensjahre jedenfalls, die Organspende möglich macht, wurden einmal mehr am bundesweiten Tag der Organspende auf der zentralen Veranstaltung in Saarbrücken eindrücklich auf die Bühne gebracht:
Über den Autor
MPH
Facharzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Palliativmedizin, Public Health