Nicht mehr alleine sein!
Wie Bilderbücher glücklich machen
Bilderbücher vermögen eine Menge: So schulen sie z.B. den Blick der Betrachter, die eine Geschichte nie allein aus dem Text erschließen, sondern stets die Illustrationen mit ihren Feinheiten mit einbeziehen sollten. Die gelungene Mischung von Text und Illustrationen macht eine Geschichte erst so lustig, absurd oder anrührend, dass wir sie immer wieder lesen wollen. Die Geschichten tragen aber auch dazu bei, Gefühle zu entschlüsseln und Empathie zu entwickeln. Wer aus der Kombination von Sprache und Mimik die im Bilderbuch dargestellten Gefühle herausliest, macht seine eigene Gefühlswelt reicher, lernt, auch mit anderen mitzufühlen. So machen Bilderbücher diejenigen Menschen glücklich, die sich mit ihnen beschäftigen. Erwachsene ziehen viel positive Energie aus dem Vorlesen, Kinder genießen die Geschichten, besonders aber die Zuwendung, die sie in einer Vorlesesituation erfahren. So ist Vorlesen ein beidseitiges Glück, von dem Kleine und Große gleichermaßen profitieren.
Das Wetzlarer Projekt „Vorlesen in Familien“ vermittelt ehrenamtliche Vorleser an Familien, in denen das Lesen nicht selbstverständlich ist und trägt damit in vielen Fällen zu diesem Vorleseglück bei. Am 11. Mai 2019 wird dem Thema „In Bilderbüchern dem Glück begegnen“ gar ein ganzer Tag gewidmet, zu dem alle an Bilderbüchern Interessierte herzlich eingeladen sind.
Ein Thema, das immer wieder in Bilderbüchern auftaucht, ist das Alleinsein und die Suche nach einem Freund. Nicht immer sind die handelnden Figuren dabei am Anfang unglücklich, weil sie alleine sind. Manchen ist es gar nicht bewusst, bis sie merken, dass sie am Ende der Geschichte in Gesellschaft eines Freundes glücklicher sind als vorher. Anton etwa wirkt zu Beginn seiner Geschichte „Anton auf dem Baum“ (minedition) ganz zufrieden. Er stellt sich vor, zeigt was er alles gerne macht und kann und erzählt uns, was sein Lieblingsessen ist. Doch auch, wenn er auf allen Bildern lächelt und eifrig bei der Sache ist, ist er doch immer allein. Darum fragte er die Vögel, ob er nicht mit ihnen im Baum sitzen darf. Die Vögel sind alles andere als nett - sie behaupten, man müsse Federn haben, um bei ihnen sitzen zu dürfen. Als Anton sich aber ein Federkleid bastelt, belegen die Vögel schnell alle Äste im Baum und haben keinen Platz mehr. Diese Erfahrung macht Anton in der Folge auch mit den Ratten, die ihn zuerst ablehnen, weil sein Schwanz zu kurz ist, und sich dann lieber alle zusammen selbst ins Tor quetschen, nur um sagen zu können, dass sie keinen Torwart mehr brauchen. Die Frösche und die Igel sind leider auch nicht netter. Eigentlich müsste Anton, der jetzt wild verkleidet ist und Federn, Stacheln, einen langen Rattenschwanz (aus einem Seil) und eine Taucherbrille hat (als Frosch), doch nun irgendwann traurig sein, könnte man meinen. Doch wenn er es sein sollte, zeigt er es nicht. Der Text, der auf die Dialoge reduziert ist und wenig darüber hinaus erzählt, bleibt neutral - und Anton? Ja, der lächelt. Und irgendwann lächelt er ein wenig breiter, denn er findet einen, der genauso gerne tüftelt wie er selbst. Über das gemeinsame Spiel finden die beiden zusammen, und die Frage, ob Anton dabei sein darf, stellt sich nicht mehr. Sie sind glücklich, alle beide, und als Vögel, Ratten, Frösche und Igel fragen, ob sie mitspielen dürfen, sind sie willkommen. Nur dass Anton und sein Freund schon längst wieder etwas anderes machen.
„Anton auf dem Baum“ ist ein wunderbares Bilderbuch, um über kindliche Alltagssituationen zu sprechen. Jedes Kind kennt die geschilderten Situationen und hat sie aus der einen oder anderen Perspektive schon erlebt - oder aus beiden? Durch das Buch zu erfahren, dass es manchmal nur ein bisschen Geduld braucht, bis sich der richtige Freund findet, ist ein großes Glück!
Auch in Olivier Tallecs „Hund im Glück“ (Gerstenberg) finden zwei zueinander und sind gemeinsam glücklicher als allein. Hier spielt der Autor mit der Erwartungshaltung seiner Leser, wenn er zum Erzählen die Ich-Perspektive wählt, um vom Zusammensein eines Hundes und seines Herrchens zu erzählen. „Ich habe mir schon so lange einen gewünscht …“ führt uns jedoch auf eine falsche Fährte, denn, wie wir nach und nach herausfinden: Nicht der kleine Junge auf den Bildern erzählt die Geschichte, wie er endlich einen Hund bekommen hat. Vielmehr ist es der titelgebende „Hund im Glück“, der sich schon lange einen eigenen Menschen gewünscht hat! Der Moment, in dem das klar wird, bringt uns zum Schmunzeln - und das ganz eigene Format des Bilderbuchs, das man wie einen Kniereiter aufschlagen und umblättern muss, von oben nach unten anstatt von links nach rechts, trägt sein Übriges zu diesem außerordentlich gelungenen Bilderbuch um Freundschaft und Zusammensein bei.
Michael Wrede: Anton auf dem Baum. Bargteheide: minedition, 2017. 32 Seiten, 13,95 €. Ab 4.
Olivier Tallec: Hund im Glück. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Hildesheim: Gerstenberg, 2019. 32 Seiten, 12,95 €. Ab 4.
Glück ist zur Zeit ein beliebtes Thema − Glücksforscher untersuchen, was uns Menschen glücklich macht, Entertainer füllen riesige Hallen mit einem Publikum, das dem Glück auf die Spur kommen will. In etwas kleinerer Form steht das Glück im Bilderbuch am 11. Mai 2019 in Wetzlar im Mittelpunkt: Wie wird das Glück im Bilderbuch präsentiert? Wie erfahren die handelnden Figuren in den Bilderbüchern das Glück? Und färbt es im Rahmen des Vorlesens vielleicht sogar ab?
Anlass des fachpädagogischen Tages „In Bilderbüchern dem Glück begegnen“, der sich nicht nur an ErzieherInnen und LehrerInnen, sondern auch an interessierte Eltern, Großeltern oder ganz einfach Bilderbuchfreunde richtet, ist die Verleihung des vor vier Jahren in Wetzlar ins Leben gerufenen Bilderbuchpreises HUCKEPACK. Mit diesem bundesweit bekannten Preis werden Bilderbücher ausgezeichnet, die in besonderer Weise dazu geeignet sind, Kinder seelisch zu stärken. Das Tagesprogramm wird auf der Homepage der Phantastischen Bibliothek Wetzlar veröffentlicht, in deren Räumen die Veranstaltung stattfinden wird (Turmstraße 20, 35578 Wetzlar / www.phantastik.eu ).
Bei Interesse an der Tagung bitte Mail an vif@phantastik.eu oder telefonisch: 06441 - 4001-46.
Über den Autor
Lese- und Literaturpädagogin
Phantastische Bibliothek Wetzlar