„Schon vorbei?“ - Narkose zu Operationen
Wer sich einer Operation unterziehen muss, braucht hierfür irgendeine Form der Betäubung. Dass heute auch sehr aufwendige Operationen durchgeführt werden können, verdanken wir neben der technischen Entwicklung der kontinuierlichen Weiterentwicklung medizinischer Verfahren, eben auch im Bereich der Narkose (Anästhesie).
Die erste Narkose
Die Geburtsstunde der Anästhesie wird üblicherweise auf den 16. Oktober 1846 datiert. Der Chirurg John Warren entfernte im Rahmen einer öffentlichen Demonstration am Bostoner General Hospital einem Patienten eine Geschwulst an einer Halsseite. Um das schmerzfrei zu ermöglichen, versetzte der Arzt William Morton den Patienten mit Hilfe eines Äther-Verdampferapparates in Tiefschlaf. Während des Eingriffs zeigte der Patient keine Reaktion. Nach dem Eingriff verkündete Warren in seinem berühmten Ausspruch: ´Gentlemen, dies ist kein Humbug´.
Schon diese erste Narkose weist auf einen wesentlichen Aspekt der Narkose hin: Die komplette Ausschaltung des Bewusstseins. Der Patient begibt sich in eine Situation, die er nicht mehr kontrollieren kann. Dies ist nachvollziehbar häufig mit unklaren Vorstellungen und auch Ängsten verbunden und setzt eine besondere Vertrauensbeziehung zu den behandelnden Ärzten voraus.
Wichtig für dieses Vertrauen ist das Narkosegespräch im Rahmen des Erstkontaktes von Patient und Arzt. Mit dieser sogenannten Prämedikationsvisite beginnt die anästhesiologische Betreuung im Rahmen einer geplanten Operation.
Wichtig ist, dass der Patient nicht der passiv ´Leidende´ ist, der medizinische Fürsorge in Anspruch nimmt, sondern auch aktiver Partner im Behandlungsprozess sein soll.
Das Narkosegespräch
Im Rahmen dieses Gespräches - auch Prämedikationsgespräch genannt - findet vor Operationen ein zweiseitiger Informationsaustausch statt. Der Anästhesist informiert sich über für die Narkose wichtige Belange des Patienten wie bestehende Vorerkrankungen oder Medikamente, die regelmäßig eingenommen werden. Der Patient erfährt welche Narkoseverfahren für die Operation in Frage kommen und welche individuellen Belange in seiner speziellen Situation wichtig sind. Es geht darum, über die Klärung offener Fragen Widersprüchlichkeiten zu begegnen, Ängste abzubauen, frühere negative Erfahrungen aufzuarbeiten und einen Konsens zu erreichen.
Die Ziele dieses Gesprächs können wie folgt beschrieben werden:
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Einschätzung des körperlichen und psychischen Zustandes des Patienten
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Verminderung von Angst
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Beseitigung von Unklarheiten
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Auswahl des geeigneten Narkoseverfahrens
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Aufklärung über das Verfahren und Risiken sowie Einholen des Einverständnisses
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Verordnung einer Medikation vor der Operation (z.B. beruhigende Medikamente)
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Kommunikation von Verhaltensanweisungen vor der Operation
Wichtig ist zu wissen, dass die Prämedikationsgespräche heute meist im Rahmen einer Sprechstunde organisiert sind. D.h. ein Anästhesist führt durchgehend die Aufklärungsgespräche mit einer Vielzahl von Patienten. Die Frage ´und Sie sind dann mein Narkosearzt´ taucht oft am Ende des Gesprächs auf. Aus dem Genannten ergibt sich aber, dass eine solche eins-zu-eins Situation nicht möglich ist. Aus diesem Grund werden die Patienteninformationen in geeigneter Form hinterlegt, so dass sie von den Beteiligten vor Beginn eingesehen werden können. Informationsweitergabe findet auch in Form von Teambesprechungen statt.
Was kann ich als Patient tun?
Da der Narkosearzt, mit dem Sie das Gespräch führen, eben häufig nicht der ist, der Sie während der Operation betreut, ist es wichtig, dass Informationen vollständig sind und auch allen Beteiligten in entsprechender Weise zur Verfügung stehen.
Jeder Patient kann hier einen wertvollen Beitrag leisten. Wesentliche Aspekte, die als eine Art Checkliste genutzt werden können sind:
- Habe ich eine Aufstellung meiner vorbestehenden Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Asthma, Herzerkrankungen)?
- Wurde ich schon einmal operiert? Gab es Besonderheiten bei der Narkose? Habe ich einen Anästhesieausweis bekommen?
- Verfüge ich über Dokumente wie Befunde oder Arztbriefe aus früheren Behandlungen, in denen mein Gesundheitszustand beschrieben ist oder kann ich diese bei meinem Hausarzt besorgen?
- Befinde ich mich zur Zeit in anderweitiger Behandlung?
- Werden/wurden Impfungen durchgeführt (hauptsächlich Kinder)?
- Habe ich eine Liste der Medikamente, die ich regelmäßig einnehme?
- Habe ich Allergien?
- Verfüge ich über eine Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht?
- Geht es um mich oder begleite ich einen Angehörigen? (Wird ein Angehöriger operiert, muss ich dabei helfen, die genannten Punkte vorzubereiten?)
- Bestehen Sprachbarrieren? Benötige ich einen Dolmetscher? Wer kann das aus meinem Umfeld leisten (z.B. Angehörige, Freunde)?
Vor dem Prämedikationsgespräch muss jeder Patient innerhalb des Aufklärungsbogens einige Fragen beantworten zu diesen Themen. Die Checkliste hilft auch hierbei! Wichtig ist, möglichst viele Informationen in gedruckter Form mitzubringen.
Auf diese Weise ermöglicht man es dem Arzt, sich ein umfassendes Bild machen zu können damit er auf dieser Grundlage die bestmögliche Behandlung planen kann. Außerdem spart es Zeit, da das Zusammentragen der genannten Informationen recht mühsam sein kann. Bei entsprechender Vorbereitung bleibt so mehr Zeit, offene Fragen zu klären und individuelle Belange genauer zu besprechen.
Narkoseverfahren
Am Ende des Narkosegesprächs steht die Auswahl des Verfahrens, das am besten geeignet ist sowie die Aufklärung darüber und die Einwilligung in das Verfahren.
Es muss nicht immer eine Vollnarkose sein. Für bestimmte Eingriffe gibt es sogenannte Regionalanästhesien, bei denen nur eine Extremität oder die untere Körperhälfte durch Betäubung von Nervenbahnen ausgeschaltet werden. Welches Verfahren sinnvoller ist, bespricht der Anästhesist mit Ihnen auf der Grundlage der vorliegenden Informationen. Deshalb ist die obige ´Liste´ sehr wesentlich. Für bestimmte Operationen macht es auch Sinn, beide Verfahren zu kombinieren. So kann über spezielle Katheterverfahren im Rahmen der Regionalanästhesien auch nach der Operation eine komplette Schmerzfreiheit erreicht werden, ohne das zusätzliche Schmerzmedikamente gegeben werden müssen.
Die Vollnarkose wird nicht mehr wie die eingangs beschriebene erste Narkose als Mononarkose (mit nur einem Medikament) durchgeführt, sondern als ´balanciertes´ Verfahren, das neben der Bewußtseinsausschaltung auch Schmerzfreiheit und Unbeweglichkeit garantiert. Standardisierte Vorgehensweisen, technische Überwachungsmaßnahmen (Herz-Kreislauf-Monitoring, Atmung, Narkosetiefe) sowie die durchgehende Steuerung der Narkose durch das Anästhesiepersonal gewährleisten heutzutage ein hohes Sicherheitsniveau.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele Länder leider nicht über die Ressourcen verfügen, eine anästhesiologische Versorgung auf dem Niveau zu gewährleisten wie das in Deutschland der Fall ist.
Aufklärung und Einwilligung
Wie bei vielen ärztlichen Maßnahmen, darf auch kein Narkoseverfahren ohne Einwilligung stattfinden. Wichtig ist zu wissen, dass mit der Unterschrift zwar die Einwilligung gegeben wird, diese aber jederzeit widerrufen oder ergänzt werden kann, sofern sich andere Aspekte ergeben. Von praktischer Bedeutung ist die Tatsache, dass manche Patienten nicht selber ihre Zustimmung geben können, da sie nicht in der Lage dazu sind. Dazu gehören Erkrankungen wie Demenz oder auch psychische Erkrankungen. Hier ist das familiäre Umfeld entscheidend. Haben Sie Familienangehörige, auf die das zutrifft, sollten Sie über das Betreuungsgericht (Teil des Amtsgerichts) eine Betreuung bestellen. Nur ein bestellter Betreuer darf an Stelle des Patienten Einwilligungen in ärztliche Maßnahmen geben.
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
Alternativ macht es für jeden (auch Gesunde) Sinn, eine Patientenverfügung zu besitzen. In dieser können neben Angaben zu Behandlungslimitierungen in speziellen Situationen auch Personen bestimmt werden, die an meiner Stelle entscheiden sollen, wenn ich nicht mehr in der Lage dazu sein sollte. Wichtig: die dort genannten Personen gelten nur als Vorschlag, der im Falle dann vom Betreuungsgericht geprüft wird. Will man Personen direkt bestimmen, die ohne eine solche Prüfung das Recht haben sollen, an meiner Stelle zu entscheiden, muss ich das im Rahmen einer Vorsorgevollmacht tun. Beide Dokumente und ausführliche Informationen werden kostenfrei im Internet zur Verfügung gestellt, z.B. vom Bundesministerium der Justiz.
Narkoseverfahren bei Gesunden?
Selbst dieser Fall kann durchaus eintreten. Fast die Mehrzahl der Schwangeren hat während der Geburt Kontakt zu Anästhesiepersonal. Die sogenannte schmerzarme Geburt wird über einen ´Periduralkatheter´ erreicht, der zu den Regionalanästhesieverfahren gehört. Für dieses wie auch für andere Verfahren wie die Spinalanästhesie zur Kaiserschnittentbindung ist ebenfalls ein Aufklärungsgespräch und eine Einwilligung erforderlich. Hier besteht gelegentlich die nicht zutreffende Annahme, dass eine solche Einwilligung auch mit einer tatsächlichen Durchführung verbunden ist. Das ist nicht so! Ob ein Katheterverfahren unter der Geburt zur Anwendung kommt, entscheidet allein die Gebärende, auch wenn eine Aufklärung stattgefunden hat. Diese dient nur der Sicherstellung, dass im Falle der Anwendung die Patientin im Vorfeld ausreichend informiert wurde. Anmerkung: Im Falle einer Kaiserschnittentbindung ist ein Betäubungsverfahren natürlich obligat.
Schwangere sollten deshalb rechtzeitig die Möglichkeiten einer Aufklärung mit Einwilligung nutzen, z.B. im Rahmen von Informationsveranstaltungen mit Aufklärungsmöglichkeit oder Einzelgesprächen - egal ob ein Verfahren letztendlich zur Anwendung kommt oder nicht.
Informationsbedürfnis
Untersuchungen zu diesem Thema identifizieren einige Kernaspekte seitens der Patienten: Sicherheit bzw. Bedrohlichkeit der Narkose, Narkoseablauf, Schmerzempfinden, Verhaltensmaßregeln vor der Narkose. Jeder Mensch gewichtet die einzelnen Punkte unterschiedlich. Durch die oben genannten Tipps zur Informationsbereitstellung tragen Sie dazu bei, dass möglichst individuell auf Ihre Belange oder auch Ängste eingegangen werden kann und Ihr Gegenüber damit auch Ihrem Informationsbedürfnis gerecht werden kann.
Die Informationsflut, der wir alle ausgesetzt sind, führt häufig zu unklaren oder auch falschen Annahmen. Es ist immer sinnvoll, diese Dinge im Narkosegespräch offen anzusprechen. Dies wird belegt durch Studien, die die Reduktion von Vorbehalten und Ängsten durch den Informationsaustausch im Gespräch nachweisen konnten.
Im Gesamtzusammenhang ist es deshalb wichtig zu wissen, dass eine im Vorfeld erzielte Angstreduktion und ein klares Verständnis der geplanten Vorgehensweisen auch den Genesungsverlauf nach der Operation positiv beeinflussen.
„Schon vorbei?“
Nahezu täglich hören wir nach Vollnarkosen diesen Satz. Gut zu wissen, dass ein mitunter kurzfristig notwendiges Ereignis wie eine Operation so gestaltet werden kann, dass man ´überraschenderweise´ gar nichts davon mitbekommt.
(Hinweis zur Verwendung weiblicher und männlicher Formulierungen:
Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, wurde auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Die Verwendung der männlichen Form soll als geschlechtsunabhängig verstanden werden.)
Über den Autor
MPH
Facharzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Palliativmedizin, Public Health