Wenn jeder Schritt schmerzt-
Die Leistenregion (Teil I)

Eine ausreichende Bewegung ist entscheidend um körperlich „fit“ zu bleiben und Folgeerkrankungen zu vermeiden. Es ist nachgewiesen, dass Bewegungsmangel den Verlauf der deutschen Volkskrankheiten Bluthochdruck oder Diabetes negativ beeinflusst. Die von der Weltgesundheits-organisation (WHO) empfohlene Gehstrecke liegt bei 10.000 Schritten oder 7 Kilometern täglich. Rund 40% der Deutschen erreichen dieses Ziel laut WHO nicht. Dies kann zahlreiche Ursachen haben. Insbesondere ältere Patienten bewegen sich häufig nicht ausreichend, da Schmerzen jeden Schritt zur Qual werden lassen können. Die schmerzhafte Gehbehinderung kann durch Erkrankungen im Bereich des gesamten Beins oder einzelner Regionen wie der Leiste, des Kniegelenkes oder am Fuß bedingt sein.

Akut auftretende oder chronisch verlaufende Schmerzen im Bereich der Leistenregion können Hinweise auf eine ernstzunehmende Erkrankung sein. Die Beschwerden können unter Belastung oder in Ruhe auftreten und stechenden oder eher dumpfen Charakters sein. Die Schmerzen projizieren sich, abhängig von der Erkrankung, auf den Unterleib, die Leiste oder den Oberschenkel. Mit dem Fokus auf orthopädische Erkrankungen wird im Folgenden auf die häufigsten Ursachen des Symptoms „Leistenschmerz“ eingegangen.

Arthrose des Hüftgelenkes (Koxarthrose)

Zahlreiche Faktoren können zu einem Knorpelverschleiß des Hüftgelenkes führen. Kennzeichnend ist der schubweise Verlauf, der zu Beschwerden wechselnder Intensität führt. Anfänglich treten die Beschwerden in der Leistenregion und an der Außenseite des Oberschenkels erst nach längerer Belastung auf. Dann lassen die Beschwerden nach dem Aufstehen am Morgen häufig nach ein paar Schritten nach, man spricht von dem sog. Anlaufschmerz. Im fortgeschrittenen oder entzündlichen Stadium („aktivierte Arthrose“), bestehen die Beschwerden zum Teil auch in Ruhe. Der Patient berichtet gelegentlich von einer Schwäche oder einem Wegknicken des Beins in der Hüfte. Bei der körperlichen Untersuchung fallen ein typischer Druckschmerz direkt über der Leiste, ein Klopfschmerz an der Außenseite des Oberschenkels und Beschwerden bei der Innendrehung des Hüftgelenkes auf. Eine Schwäche der Muskulatur und eingeschränkte Beweglichkeit (anfänglich vor allem der Innendrehung) treten durch eine längerfristige Schonung des Gelenkes auf. Eine Verkürzung des Beins ist, sofern keine andere Ursache in Betracht kommt, erst bei weit fortgeschrittener Arthrose zu beobachten. Häufig ist ein Röntgenbild zur Diagnosestellung ausreichend. Eine Kernspintomographie (MRT) ist selten notwendig, falls doch, dann im Frühstadium der Arthrose ohne entsprechenden Röntgenveränderungen oder bei gezielten Fragestellungen. Krankengymnastik und gelegentlich ein Schmerzmittel können die Beschwerden oftmals deutlich verbessern. Die zahlreichen Möglichkeiten der nichtoperativen Behandlung werden häufig mit gutem Erfolg eingesetzt – doch nicht immer ist ein Hinauszögern einer Operation (Kunstgelenk) um jeden Preis sinnvoll!

Rheumatoide Arthritis

Die Rheumatoide Arthritis stellt mit rund 800.000 erkrankten Patienten in Deutschland die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung dar. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung (Fehlsteuerung der körpereigenen Abwehr) die akut oder chronisch beginnen kann. Die häufig schubweise verlaufende Entzündung tritt am Anfang oft im Bereich der Hände auf, kann grundsätzlich jedoch nahezu sämtliche Gelenke betreffen. Das Hüftgelenk ist bei etwa 30% der Patienten betroffen. Charakteristisch sind eine langanhaltende Gelenksteife am Morgen, Rheumaknoten und entzündliche Gelenkschwellungen. Neben dem Gelenkbefall können Entzündungen der Sehnen, Sehnenscheiden und Schleimbeutel auftreten. Die medikamentöse Behandlung hat das Ziel die Gelenkzerstörung aufzuhalten. Parallel sind Krankengymnastik und Ergotherapie sinnvoll, um die Gelenkfunktion wiederherzustellen und zu erhalten. Versagen Therapieverfahren, die die Gelenkinnenhaut beispielsweise radioaktiv (Radiosynoviorthese) veröden und dadurch die Zerstörung von Gelenken und Sehnen verhindern sollen, bleibt nur noch die Operation bis hin zum Gelenkersatz.

Hüftkopfnekrose

Die Durchblutungsstörung des Hüftkopfes betrifft überwiegend Männer mittleren Alters und kann nach Knochenbrüchen oder ohne Anlass auftreten. Unverhältnismäßiger Alkohol- oder Nikotinkonsum, bestimmte Medikamente (zum Beispiel langjährige Kortisontherapie) und Stoffwechselstörungen gehören zu den häufig genannten Risikofaktoren. Die Durchblutungsstörung kann im fortgeschrittenen Stadium zu einem Zusammenbrechen des Hüftkopfes führen. Charakteristisch sind rasch einsetzende Leistenschmerzen, die auch in Ruhe auftreten und mit einer deutlichen Beinverkürzung einhergehen können. Die Kernspintomographie ermöglicht eine frühzeitige Diagnosestellung, während Röntgenveränderungen häufig erst im fortgeschrittenen Stadium zu beobachten sind. Während im Anfangsstadium zahlreiche konservative und operative Verfahren mit dem Ziel den Hüftkopf zu erhalten eingesetzt werden, bleibt bei einem Bruch des Hüftkopfes im Spätstadium nur noch der Gelenkersatz.

Bursitis trochanterica/Trochantersyndrom

Charakteristisch sind Beschwerden im äußeren Hüftbereich bzw. an der Oberschenkelaußenseite. Die Schmerzen projizieren sich in diesen Fällen auf den großen Rollhügel (Trochanter major), einem Teil des Oberschenkelknochens, der nicht direkt zum Hüftgelenk gehört. Er dient als Ansatz vieler Hüftmuskeln und ist bei schlanken Menschen von außen gut tastbar. Die Patienten geben häufig an, nicht mehr auf der betroffenen Seite liegen zu können. Schmerzauslösend seien Treppensteigen, längeres Gehen und Stehen, sowie das Sitzen mit übereinander geschlagenen Beinen. Hinken und ein Schnappen sind ebenfalls möglich. Überbelastung und Fehlstatik im Bereich der Hüftregion können zu Schmerzen führen, die durch eine Degeneration der Sehnen und Muskulatur oder durch eine Schleimbeutelentzündung (Bursitis trochanterica) bedingt sein können. Krankengymnastik, entzündungshemmende Maßnahmen (Injektionen), Ultraschall, Elektrotherapie und Stoßwellenbehandlung werden mit Erfolg eingesetzt, können aber nicht immer eine operative Therapie mit Schleimbeutelentfernung oder Sehnennaht vermeiden.

Kreuzdarmbein-Blockierung (ISG-Blockierung)

Die gelenkige Verbindung zwischen Kreuz- und Darmbein des Beckens, wird auch als Iliosakralgelenk (ISG) bezeichnet. Trotz geringer Beweglichkeit können die beidseitig angelegten Gelenke blockieren und dann zu Schmerzen führen. Es handelt sich dabei um eine Störung des freien Gelenkspiels, so dass einzelne Bewegungsrichtungen, während einer Blockierung nicht oder nur unter Schmerzen ausführbar sind. Das Anheben eines schweren Gegenstandes, ein „Tritt ins Leere“ oder Erkrankungen der Wirbelsäule können ISG-Blockierungen zur Folge haben. Betroffene klagen über tiefsitzende Rückenschmerzen, die sich häufig einseitig auf die Gesäßregion projizieren. Während langes Sitzen zu einer Schmerzverstärkung führen kann, lindern sich die Symptome unter Bewegung oder Wärmeanwendungen oftmals. Die Beschwerden können stechenden Charakters sein und mit Kribbeln oder einem Gefühl des „Ameisenlaufens“ einhergehen. Da die Schmerzen in Richtung Lendenwirbelsäule, Bein und Leiste ausstrahlen können, müssen diese Regionen bei der körperlichen Untersuchung mitberücksichtigt werden. Ist die Diagnose ISG-Blockierung gestellt, können Wärme, Schmerzmittel, Infiltration und manuelle Therapie die beklagten Symptome häufig rasch lindern.

Erkrankungen der Wirbelsäule

Degenerative Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule können Rücken- und Beinschmerzen zur Folge haben. Ein Bandscheibenvorfall oder eine Engstelle im Bereich der Wirbelsäule (Spinalkanal- oder Foramenstenose) ist eine häufige Ursache. Falls die obere Lendenwirbelsäule betroffen ist, treten die Beschwerden bevorzugt im Bereich der Leiste, des vorderen Oberschenkels und Teilen des Unterschenkels auf. Die Symptome können in der Regel einer Nervenwurzel zugeordnet werden, welche den vorderen Hauptbeinnerven bilden - den Nervus femoralis. Engstellen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, führen zu Schmerzen im Bereich des Ischiasnerven (sog. „Hexenschuss“) – Gesäßregion, hinterer Oberschenkel und Teile des Unterschenkels sind dann häufig betroffen. Ist eine Nervenwurzel eingeengt, stehen am Anfang oftmals lokalisierte Schmerzen, Kribbelparästhesien (sog. „Ameisenlaufen“) können hinzukommen. Besteht die Einengung bereits länger, drohen ein Taubheitsgefühl bis hin zur Muskellähmung. Eine Muskelschwäche, akute oder länger bestehende Schmerzen sollten zum Arzt führen. Die Durchführung einer Kernspintomographie ist nicht immer notwendig, kann aber gerade bei der Frage - nichtoperative oder operative Behandlung? - Klarheit bringen. Krankengymnastik, Rückenschulung oder Extensionsbehandlung führen oftmals zu dem gewünschten Erfolg. Ist bereits eine Muskellähmung eingetreten, sollte eine Operation dringend in Erwägung gezogen werden!

Leistenschmerzen –

ein Symptom zahlreicher weiterer Krankheitsbilder

Unfallbedingte Knochenbrüche im Bereich des Oberschenkels (z. B. Schenkelhalsfrakturen) führen zu stärksten Schmerzen im Bereich der Leiste und des Oberschenkels. Der typische Befund mit Beinverkürzung und Außendrehfehlstellung des Beins nach Sturz sowie ein Röntgenbild sichern die Diagnose – nahezu immer ist eine Operation notwendig. Isolierte Beschwerden im Bereich der Leiste und der Schamregion können auch auf einen Bruch des vorderen Beckens hinweisen. Dieser kann bei Patienten mit einer Osteoporose auch ohne Sturz auftreten und muss bei stabilen Verhältnissen nicht zwangsläufig operiert werden.

Hauptrisikofaktoren einer arteriellen Verschlusskrankheit stellen Rauchen, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und arterieller Bluthochdruck dar. In 30 % der Betroffenen sind die Arterien des Beckens eingeengt oder verschlossen. Es können Schmerzen im Bereich der Leiste und des Gesäßes sowie des Oberschenkels und der Wade auftreten. Das Beseitigen der Risikofaktoren und Bewegung gehört zu den Grundpfeilern der erfolgreichen Behandlung. Medikamentös werden Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. ASS) und gefäßerweiternde Substanzen eingesetzt. Die Gefäßerweiterung mittels Ballonkatheter eventuell mit Stenteinlage, die operative Ausschälung der Gefäße oder die Bypass-Operation wird in fortgeschrittenen Stadien notwendig.

Eine Schmerzzunahme im Bereich der Leiste durch Husten oder Niesen, kann durch einen Bandscheibenvorfall bedingt sein, aber auch durch einen Leistenbruch verursacht werden. Charakteristisch ist eine tastbare, eventuell schmerzhafte Vorwölbung (Bruchsack) in der Leistengegend, die sich häufig nach innen wegdrücken lässt. Diese Vorwölbung entsteht, wenn Schichten der Bauchwand den Leistenkanal direkt oder indirekt durchbrechen. Ein Darmverschluss und eine Bauchfellentzündung drohen, wenn Darmanteile eingeklemmt werden. Die operative Versorgung wird häufig empfohlen, wenn Schmerzen oder die Gefahr einer Einklemmung von Darmanteilen bestehen.

Neu aufgetretene, vergrößerte oder schmerzhafte Veränderungen der Lymphknoten im Bereich der Leiste können Ausdruck einer Entzündung oder selten Folge eines Tumors sein. In solchen Fällen sollte der Arztbesuch zeitnah erfolgen – ebenso, wenn gynäkologische, urologische Erkrankungen (z. B. der Hoden oder der Harnwege) oder andere Schmerzursachen in Betracht kommen.

Leistenschmerzen - ein Symptom, dass jeden Schritt zur Qual werden lassen kann. In der folgenden Ausgabe wird der Fokus auf den Erkrankungen der Kniegelenksregion liegen.

Über den Autor

Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen

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