Der Heuschnupfen geht um – was gibt es Neues?

Vieles ist nicht mehr so, wie es einmal war. Der Weihnachtsmann bringt nur selten eine stille, ruhende Winterlandschaft. Klima und lokale Wetterkapriolen bereiten Heuschnupfenpatienten bereits zum Jahresanfang heftige Beschwerden.

Die Experten sind sich einig: Durch Allergien verursachte Erkrankungen nehmen weltweit dramatisch zu. Unsere Umwelt sowie das Leben in moderner Zeit bedeutet Kontakt mit ungezählten Substanzen, die unser Immunabwehrsystem überfordern. Schadstoffe aller Art vom Feinstaub, Stickoxiden und CO2 bis zur Plastikflut oder Lebensmittelkonservierung schaden der Gesundheit. Heuschnupfen galt als exotische Unpässlichkeit - mittlerweile ist er eine Zivilisationskrankheit. Mindestens 15 % unserer westlichen Bevölkerung leidet an der Pollinosis: Unverträglichkeit von Pflanzenpollen. Zusammen mit Asthma bronchiale, Nahrungsmittelallergien und Neurodermitis steht sie an erster Stelle aller chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Allergien treten immer häufiger und früher bereits im Kindesalter auf. Unter tränend juckenden Augen mit Fliessschnupfen litt mancher Allergiker bereits unter dem Weihnachtsbaum - ausgelöst durch den beliebten Weihnachtsstern aus fernen Landen. Heuschnupfen machte sich 2019 bereits im Januar bemerkbar, verursacht z.B. durch Frühblüher wie Hasel, Erle oder Birke.

Neu ist die zeitliche Ausweitung des Pollenfluges vieler Pflanzen bis in den Spätherbst, klimabedingt durch lange, trockene, staubige Blütezeiten sowie durch „zu gewanderte“ Pflanzen wie die sehr aggressive Ambrosia (Ragweed). Ein Beifußgewächs, das bis zum Oktober als hartnäckiger Selbstbestäuber mit ca. 1 Milliarde Pollenkörner pro Pflanze starke Beschwerden auslöst. Von Amerika wurde sie über Osteuropa durch verunreinigtes Vogelfutter und verschmutzte LKW Reifen eingeschleppt! Große knallgelbe Rapsfelder sorgen ebenfalls für Heuschnupfen. Immer häufiger treten Kreuzallergien auf. Bis zu 50 % aller Patienten entwickeln das Orale Allergiesyndrom (OAS).

Bei Genuss eines immunologisch mit der Pollenstruktur verwandten Nahrungsmittels treten diskret oder sehr akut Pollionisisbeschwerden auf plus: Juckreiz im Mund/Rachenbereich (Quinckeödem), Nesselsucht an der Haut (Urtikaria), Erbrechen, Durchfall, Atemnot und

  1. bis zur Kreislaufdekompensation mit lebensbedrohendem anaphylaktischem Schock.

 

Beispiel für die Komplexität der Molekulargenetik einer Kreuzallergie zwischen Birkenpollen und Nahrungsmitteln mit OAS

Obst: Apfel, Aprikose, Kirsche, Pfirsich, Birne, Himbeere, Erdbeere, Kiwi

Nüsse: Hasel, Kastanie

Gemüse: Sellerie, Karotte, Tomate

Hülsenfrüchte: Erdnuss, Soja

Deutlich schneller und häufiger als früher folgt dem Heuschnupfen ein Etagenwechsel. Es bleibt nicht bei lästigen Lokalsymptomen und oft beeinträchtigender Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche. Die Schleimhäute der Bronchien und Lunge - eine Atemwegsetage „tiefer“ - reagieren überempfindlich auf Pollen. Verengte Atemwege mit brummend, pfeifend, giemend schmerzhafter und beängstigender Atemnot, die sich bis zu einen lebensbedrohlichen Asthmaanfall steigern kann.

Diagnostik

Die Verdachtsdiagnose eines Heuschnupfens wird oft bereits von betroffenen Eltern gestellt. Aufgabe des Arztes ist es, durch die Anamnese heraus zu finden: unter welchen Umständen, wie lange und heftig treten welche Beschwerden auf. Ein Allergiebeschwerdentagebuch ist immer hilfreich. Neben der körperlichen Untersuchung (Ausschluss anderer Ursachen wie Entzündungen, Tumoren), stehen Labor- Haut- oder auch Lungenfunktionsteste zur Identifikation krankmachender Pollen zur Verfügung.

Im Blutserum wird pollenspezifisches Immunglobulin IgE z.B. gegen Birke bestimmt.

Seit kurzem gibt es eine Mehrkomponenten Molekulardiagnostik durch Schnelltests im Bluttropfen, der im freien Apothekenhandel erhältlich (z.B. Immunocap®).

Aber Vorsicht: eine laborchemisch nachgewiesene Allergie gibt keinerlei Auskunft über die potentielle Schwere des Krankheitsbildes.

Das gilt auch für den Hautprick- oder Reibetest mit einem Tropfen Pollenextrakt am Unterarm, der bereits im Kleinkindalter möglich ist: Positive Reaktion = Rötung, Quaddelbildung, Juckreiz zeigt eine Sensibilisierung an. Ein Lungenfunktionstest (Spirometrie) evtl. mit Provokation beim (Kinder)Pneumologen hilft die Allergiesierung ab zu klären. Bei unklarer starker Reaktion auf Nahrungsmittel gilt die orale Provokation als Goldstandard“ der Diagnostik

Therapie

Allgemeine Prophylaxe (Vorbeugung) ist ein wesentlicher Grundpfeiler jeder antiallergischen Therapie. Wie kann ich Pflanzenpollen ausweichen? Auf Dauer kaum –aber es gibt hilfreiche Tipps: In Pollenfallen werden Samen systematisch gefangen und nach Art und Zahl ausgewertet und veröffentlicht. Pollenwarndienste im Rundfunk oder Internet sind ebenso hilfreich wie Pollen-Apps – sie ersetzen die Blühkalender. Bei starkem Pollenflug eher im Haus bleiben, Fensterstoßlüften frühmorgens auf dem Land wegen starkem Pollenflug und abends in der Stadt, da sich Pollen an Luftschadstoffe heften und tagsüber auf den Boden sinken.

Pollenschutzfilter im Auto regelmäßig reinigen, evtl. Atemstaubmaske, abends Haare auswaschen, Nasenduschen, Gesicht waschen ist ebenso hilfreich wie Kleiderwechsel. Bei ohnehin belastetem Abwehrsystem sollten Raucher- und vollständiger Impfschutz selbstverständlich sein. Anstrengende Tätigkeiten oder Sport bei starkem Pollenflug meiden. Urlaub gezielt jahreszeitlich in pollenarme Regionen (Meer oder Alpen) legen. Auch eine Überlegung wert: „Allergiebäume“ und Sträucher - wo immer möglich – zu Hause, in Kita, Schulhof wegen ihrer großen Pollenlast fällen (lassen) – es gibt gute grüne Alternativen.

Medikamentöse Therapie bei Allergien

Symptomatisch

Medikamente je nach Ausmaß der Beschwerden einsetzen.

Antihistaminika (Cetirizin, Terfenadin, Levocabastin) zur Neutralisierung des Beschwerde auslösenden Histamins aus spezifischen Mastzellen des Immunsystems. Je nach Symptomatik sind sie als Salbe, Tropfen, Saft oder Tabletten bei geringen Beschwerden schon ausreichend. Keine tagelange Schleimhaut schädigende Nasentropfen (Nasivin/Otriven) verabreichen!

Kortison ist als bewährter Entzündungshemmer bei ausgeprägter Symptomatik – auch in Kombination mit Antihistaminika – oft unverzichtbar. Über kurze Zeit eingesetzt, sind keinerlei lokale oder systemische Nebenwirkungen zu befürchten! Im Zweifelsfall fragen sie ihren Arzt oder Apotheker! Obsolet ist seit vielen Jahren die zwar schnell wirksame, aber nicht steuerbare intramuskuläre Kortisoninjektion – schon gar nicht „in den Po“!

Kausal - die Spezifische Immuntherapie (SI) – früher Hyposensibilisierung

Durch Zuführung kleinster Mengen der für die Beschwerden verantwortlichen Pollen werden regelmäßig über einen längeren Zeitraum die Abwehrmechanismen des Immunsystems gereizt: Es bildet ständig eigene Antikörper. Diese Therapie kann bereits ab dem 5. Lebensjahr durch Tropfen/Tabletten (SLIT) oder subkutane Injektionen (SKIT) erfolgen. Je früher die Therapie erfolgt, desto größer ist die Erfolgsrate. Die Behandlung – entweder präsaisonal oder perennial (ganzjährig) - wird im Regelfall über drei Jahre durchgeführt. Sie erfordert eine große Disziplin und Durchhaltevermögen.

Der anaphylaktische Schock

Spätestens wenn Heuschnupfen, Asthma oder Nahrungsmittelallergie mit schwerer lebensbedrohender Symptomatik auftreten, ist eine ausführliche ärztliche Beratung und gegebenenfalls wiederholte Schulung von Kind und Eltern zur kompetenten Selbsthilfe im Notfall unbedingt erforderlich: Die zuverlässig wirksame Handhabung von Dosieraerosolen oder die Selbstinjektion des lebensrettenden Adrenalin im Schock muss gelernt werden.

 

Medikamente der Notfallapotheke

Antihistaminika z.B. Cetirizin Tbl.

Kortison z.B. Urbason Tbl.

Asthmaspray z.B. Salbulaer Spray

Adrenalin- Autoinjektor z.B. Fastjet

( Jeweils altersgerecht dosieren!)

Arztnotruf Tel. 112 Allergiepass bereithalten

 

Alternative Methoden zur Allergiediagnostik wie Bioresonanz, Pendeln u.a. sind wegen fehlender Wissenschaftlichkeit und Wirksamkeit nicht angezeigt. Akupunktur hat in einzelnen Studien zur Symptomlinderung geführt, bringt aber bei schwerer Symptomatik keine zuverlässige oder gar dauerhafte Hilfe. Patienten werden in falscher Sicherheit gewiegt womit immer wieder eine leitliniengerechte Behandlung verzögert wird. Notfallsituationen sind mit alternativen Therapien nicht beherrschbar! Eine altersgerecht einfühlsame Information über die „gemeine“ Krankheit ist eine wichtige Aufgabe aller betroffenen Verantwortlichen. Erklären Sie ihrem Kind geduldig, was mit ihm passiert und trösten sie es über die schwere Zeit. Ärzte und Forscher vieler Fachgebiete kämpfen unermüdlich und durchaus erfolgreich gegen die Allergien.

Zusätzliche Information zum Thema Heuschnupfen

Elternhilfe: www:allergie-und-umweltkrankes-kind.de

Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind, Herborn und www.aak.de

www.pollenstiftung.de - Deutscher Wetterdienst www.dwd.de - www.Wikipedia

Gutes Buch über den Umgang mit dem Kind und Allergie: „Total allergisch- na und?“ von Daniela Halm im Springerverlag

 

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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