Aktuelles aus der Impfmedizin – Defizite und Erfolge

Wie sicher ist unser Impfschutz?

Nach der heftigen Grippewelle sowie regionalen Masern- und Windpockenausbrüchen in den letzten Monaten stellt die konsequente Schließung von Impflücken als wirksame Maßnahme gegen impfpräventable Infektionskrankheiten eine dringliche Herausforderung dar.

Grippe – grob vernachlässigter Impfschutz

Mehr als 63 000 gesicherte Influenzafälle wurden seit Oktober 2016 gemeldet, 2o17 bereits 14 000 mit 126 Todesfällen überwiegend älterer und chronisch kranker Patienten. Trotz ständiger Information seitens der industrieunabhängigen Expertenimpfkommission (STIKO) am Robert Koch Institut in Berlin, der Ärzte und Krankenkassen sind in der Altersgruppe der über 60-Jährigen in Deutschland nur 20 % geimpft!

Die offizielle Impfempfehlung gilt für alle Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen sowie Personen, die beruflich engen Personenkontakt haben.

Das Grippevirus verbreitet sich überwiegend in Kitas, Schulen, Altenpflegeheimen und Krankenhäusern – aber auch bei Großveranstaltungen aller Art.

Da der Influenzavirustyp häufig wechselt – aktuell TypAH3/N2 - wird der Impfstoff jährlich neu bestimmt. In der aktuellen Saison wurde ein Impfschutz von ca. 50 % erreicht. Geimpfte Personen zeigten einen deutlich kürzeren und abgemilderten – kaum tödlichen Krankheitsverlauf. Bei der hohen Patientenzahl stellt dieser Wert für den Einzelnen und den volkswirtschaftlichen Nutzen einen deutlichen Gewinn dar.

Masernendemien - Auffrischimpfungen fehlen

Masern, Mumps und Röteln sollten in Deutschland bis zum Jahr 2020 „ausgerottet“ sein – davon sind wir aktuell weit entfernt. In den vergangenen Monaten kam es zu mehreren, heftigen Masernausbrüchen in verschiedenen Regionen. Schulklassen wurden zeitweise von Gesundheitsämtern geschlossen, Krankenhauspersonal und Kitas offiziell über notwendige Kontrolle des Impfpasses und überfällige Auffrischimpfungen informiert.

Während Eltern die erste Kombinationsimpfung (MMR plus Varizellen) im Alter von 11-14 Monaten noch zu 97 % durchführen lassen, fehlt bei der Einschulungsuntersuchung schon bei 20 % der Kinder die für einen sicheren Impfschutz erforderliche zweite Impfung bis zum 24. Monat.

Varizellen – folgenreiche Nachlässigkeit bei gutem Start

Auch bei Windpocken ist es in den zurückliegenden Monaten zu einem erheblichen Anstieg von Infektionen einschließlich ernster Komplikationen gekommen - auch durch Infektion der Asylsuchenden mit oft unklarem Impfstatus. Hauptursache der „in Windeseile“ gefürchteten Ausbreitung ist die fehlende Auffrischimpfung! Wie bei MMR erfolgt diese am effektivsten als Simultanimpfung mit Maser/Mumps/Röteln und Windpocken. Die Statistik bei der Impfpasskontrolle zur Schuleingangsuntersuchung zeigt: erste Impfquote bei 96 % - Auffrischimpfung regional teilweise unter 60 %.

 

Auffrischimpfung von Masern/Mumps/Röteln

und Windpocken nicht vergessen.

Grippeimpfung jährlich und

Pneumokokkenschutz im Alter

 

 

 

 

 

 

Pertussis – eine traurige Bilanz

2016 gab es nach der Einführung der Meldepflicht einen Höchststand mit

22 119 Erkrankten - bei 85 Todesfällen darunter drei Neugeborene. 20 % der Schwangeren besaßen keinerlei Impfschutz, 30 % der jungen Eltern keinen vollständigen Impfschutz, auch nicht gegen MMR und Windpocken!

Die Impfung gegen Keuchhusten gehört zur Standardimpfung in jedem Lebensalter. Ebenso wie Meningokokken, Pneumokokken und Rotavirus (Brechdurchfall) zur Sechsfach Kombination ab dem 3 Lebensmonat. Im Erwachsenenalter mit regelmäßiger Auffrischung alle 10 Jahre mit Diphterie und Tetanus.

Wichtige Neuempfehlung: Erstimpfung und Auffrischimpfung ist während der gesamten Schwangerschaft möglich. Nach weltweiten Studien gefährdet der Impfstoff weder die Mutter noch ihr Ungeborenes, verhindert zuverlässig die meist dramatische Erkrankung des ungeschützten Säuglings.

Zusätzlich besteht die ärztliche Forderung, dass jede „enge“ Kontaktperson zum Neugeborenen geimpft sein soll.

HPV (Humanes Papilloma Virus) – unverändert niedrige Akzeptanz

Effektiver Schutz gegen Gebärmutterhalskrebs, genitale Feigwarzen sowie Kehlkopfkrebs bei Jungen und Mädchen. Im internationalen Vergleich ist die Durchimpfungsrate in der BRD trotz großer Werbezüge viel zu niedrig.

Studien – vorbildlich in England und Australien mit mehr als 90 % Durchimpfungsrate und entsprechend eindrucksvollem Rückgang der Erkrankungen – wurde auch für Deutschland die Impfempfehlung erweitert: Erstimpfung der Mädchen ab dem 9. Lebensjahr möglich, auch Jungen können vor Aufnahme sexueller Aktivität durch die Impfung geschützt werden.

FSME – sinkende Durchimpfungsrate bei steigenden Infektionen

Die Verbreitung der Frühsommermeningoenzephalitis durch Zecken geht ungebremst von Osteuropa gen Westen weiter. „Risikogebiete“ in Süd- und Ostdeutschland sowie Österreich, Ungarn und die Ostseeanrainerstaaten sind hinreichend bekannt.

Die FSME Impfung ist ungefährlich und sollte insbesondere bei beruflicher Exposition und passionierten Wanderern auch im Kindesalter erfolgen. Die Infektionszahlen mit teils schweren Verläufen steigen unvermindert an: 2016 mit 348 Fällen doppelt so viele wie im Vorjahr.

Meningokokken - erfreuliche Entwicklung.

Die invasiven, lebensbedrohlichen Verläufe durch bakterielle Hirnhautentzündungen mit unterschiedlichen Typen A, B und C (Standard Impfprogramm) sind nach dem aktuellen Impfregime und Neueinführungen effektiver Impfstoffe deutlich rückläufig.

Bemerkenswert, dass 98 % der am Typ C Erkrankten nicht geimpft waren!

Reiseimpfungen

Denken Sie vor der Urlaubsreise daran, sich nicht nur gegen zuviel Sonne und Insekten, sondern auch gegen fremde und seltene Infektionen zu schützen.

Ist der Standardimpfschutz der Familie komplett? Um regionale Gefahren in offiziell ausgewiesenen „Risikogebieten“ zu vermeiden z.B. Malaria, Gelbfieber, Jap. Meningitis, Cholera, Tollwut oder Polio setzen Sie sich bitte rechtzeitig mit einer Reiseimpfberatungsstelle oder mit einem auf „Reisemedizin“ spezialisierten Arzt in Verbindung.

 

Grundsätzlich gilt:

Jede dokumentierte Impfung zählt– ein Neubeginn ist nicht erforderlich

Eine verpasste Auffrischung kann jederzeit nachgeholt werden.

Eine „Überimpfung“ gibt es nicht

 

Sprechen Sie Ihren Arzt zur Aktualisierung des Impfpasses an.

Für Gesundheitsprävention ist es nie zu spät!

 

zusätzliche Informationen erhalten Sie über

Robert Koch Institut: www. rki.de/impfen

Reisemedizin: www.impfen-info.de/informationsmaterial

www. fit-for-travel.de

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar
Aktuelle Ausgabe1/2024